Ute Bernhardt


Maschinen-Soldaten

Der Mensch auf dem modernen Schlachtfeld


Zu den Gefahren der Gentechnologie zählt, daß mit ihrer Hilfe Menschen nach Wunsch, Menschen nach Maß geschaffen werden. Der Gentechnologie werden die Grenzen jedoch durch die Natur gesetzt: Manipuliert werden können nur die natürlichen Erbinformationen. Was die Gentechnologie nicht leisten kann, erforscht das Militär - die Kopplung von Mensch und Maschine, Biologie und Elektronik durch bioelektronische, bionische Systeme.


Bionische Systeme sind elektronische und andere technische Supplemente und Implantate für Menschen zur
Steigerung von biologischen Funktionen wie der Muskelkraft und der Ausdauer, von Sinneswahrnehmungen, vor allem des Sehens, Hörens, Fühlens und Riechens und von kognitiven Fähigkeiten generell.

Die militärischen Konzepte des modernen Schlachtfeldes, beschrieben in der AirLand-Battle Doktrin
[1], gehen von einem volltechnisierten, mit hoher Geschwindigkeit geführten Krieg und dem Einsatz von ABC-Waffen aus, dem die Soldaten der Zukunft ausgesetzt sind. Die Antwort der Militärs auf diese Anforderungen ist die Aufrüstung des einzelnen Soldaten zum bionischen System.

In diesem Beitrag sollen einige Forschungsvorhaben vorgestellt werden, die zum größten Teil in den USA, aber auch in der Bundesrepublik durchgeführt werden. Gezeigt wird, daß menschliche Fähigkeiten auch auf dem modernen Schlachtfeld nicht wegzudenken sind, weil keine Technik existiert, die sie ersetzen könnten. Der Mensch - zum optimierten Teilsystem der Militärmaschinerie geworden - wird jedoch kaum menschliches mehr an sich haben.


Mensch-Maschine-Systeme

Zentral für die bionische Forschung ist, Maschinen nicht als Werkzeuge des Menschen zu sehen, sondern Menschen als integralen Bestandteil komplexer technischer Systeme, wie dies in der Mensch-Maschine-System Metapher zusammengefaßt ist. Durch die Erfahrung mit der Bedienung von U-Booten und Flugzeugen im Zweiten Weltkrieg wurde 1951 in den USA das Human Resources Research Office (HUMRO) gegründet:


"HUMROs Einfluß war tief und fundamental. Es ist ein großer Katalysator zur Veränderung der traditionellen Ausbildungs- und Aufgabenzuweisungsprozeduren aus den Zeiten des Zweiten Weltkrieges hin zu solchen gewesen, die `system-orientiert' sind, d.h. ein Training, das auf das System abgestimmt ist, dessen Teil der Mensch sein soll, sei es ein `Gewehr-System', ein Helikopter oder eine Raketenbatterie. Der Ansatz von HUMRO - und danach der der Armee - ist, Menschen als integrale Teile eines Waffensystems mit einer spezifischen Mission zu sehen"[2].

Um von einem "Gewehr-System" zu einer Mensch-Maschine-Symbiose zu gelangen, ist dann nur noch intensive Entwicklungsarbeit notwendig.

In der Praxis lassen sich drei verschiedene Ebenen der Kooperation von Mensch und Maschine unterscheiden. Auf der ersten Ebene sind dies technische Hilfsmittel, die dem Menschen gestatten sollen, seine Aufgabe optimal zu erfüllen. Dies sind sowohl Systeme, die menschliche "Defizite" ausgleichen, wie etwa die Unfähigkeit des Menschen, Nachts genauso zu sehen wie tagsüber oder bestimmte Chemikalien zu riechen, als auch Systeme, deren "Mensch-Maschine-Schnittstelle" den kognitiven Fähigkeiten des Menschen angepaßt ist. Auf der zweiten Ebene stehen wissensbasierte Systeme, die ihren menschlichen Bediener entweder durch Informationen über menschliches Verhalten oder durch das Wissen von Experten verschiedener Fachgebiete unterstützen und leiten. Auf der dritten Ebene stehen Systeme, bei denen Mensch und Maschine symbiotisch miteinander verbunden sind und der Mensch der Kontrolle des Systems unterworfen ist. Mensch und Maschine sind in einen Regelkreislauf integriert.


Maschinen-Body-Building
Die Steigerung von Muskelkraft und Ausdauer gehört zu den ältesten Bionik-Projekten. Bereits Anfang der 60er Jahre entwickelte General Electric im Auftrag des US-Office of Naval Research ein Exoskelett namens "Hardiman". Mit einem den Soldaten umgebenden beweglichen Stahlskelett sollte ein Mensch große Lasten heben und über längere Strecken transportieren können. Wegen technischer Schwierigkeiten kam das Projekt nicht über einen Prototypen hinaus. Fortschritte in der Robotik führten zum Wiederaufleben dieser Idee. So verfolgt die US-Army Pläne für ein Exoskelett, das das Tragen und Transportieren von Lasten bis zu 180 Kilogramm ermöglicht und dem natürlichen Bewegungsablauf des Menschen folgt [3].


Sinneserweiterungen

Die Steigerung der sensorischen Fähigkeiten ist weit gediehen, dabei kommt den visuellen Fähigkeiten naturgemäß die größte Bedeutung zu. Militärisch schon im Einsatz sind Geräte, die die Nachtsicht ermöglichen. Benutzt werden Restlichtverstärker und Infrarot-Systeme. Bei Restlichtverstärkern werden die von kleinsten Lichtquellen - beispielsweise Sternenlicht - abgestrahlten Photonen in Elektronenkaskaden verstärkt und zu einem elektronischen Bild aufbereitet. Die Miniaturisierung ist so weit fortgeschritten, daß Panzerbesatzungen und Hubschrauberpiloten mit leichten Zwei-Röhren-Systemen in totaler Finsternis räumlich sehen können. Bei Infrarotsystemen liefern Infrarotkameras ein elektronisches Abbild aller Wärmequellen, deshalb spricht man auch von Wärmebildsystemen.

Die weitverbreitete Nachtsichtfähigkeit hat die Kriegsführung revolutioniert, wie zuletzt der Golfkrieg zeigte:

"Die Verfügbarkeit von Restlichtverstärkern und Wärmebildsystemen gaben den westlichen Streitkräften eine Flexibilität in ihren Operationen, die historisch unvergleichbar ist. Der Sonnenuntergang sorgte nicht länger für eine Ruhepause - viele offensive Operationen begannen sogar in der Nacht. Der gestiegene taktische Vorteil von mit Nachtsichtsystemen ausgerüsteten Truppen über solche ohne diese wurde während der Operationen im Golf recht deutlich demonstriert. Es kann erwartet werden, daß diese Lektion von Armeen überall klug erkannt wird: eine Streitmacht ohne Nachtsichtfähigkeiten wird einfach zu Zielen" [4].


Das Anreichern des Sichtfeldes mit zusätzlichen Informationen ist eine Entwicklung aus der Luftfahrt und soll auch für die Infanterie nutzbar gemacht werden. Nachdem begonnen wurde, bei Piloten wichtige Statusinformationen und Zieldaten in das Helmvisier einzuspiegeln, soll dieser Weg benutzt werden, um eine Vielzahl von weiteren Informationen zu übermitteln. Ein Computer mißt die Augenbewegungen und stellt die Blickrichtung fest. Aus dem mit Helm-basierten Anzeigen, sogenannten "helmet-mounted displays" angefüllten Helm wird ein "sight bionics"-System.

Auch für den Infanteristen sind Helmsysteme geplant, bei denen Ziele in eingespiegelten digitalen Geländekarten markiert sind. Der Soldat mißt die Entfernung durch einen Blick auf das entsprechende Datensymbol im Helm und aktiviert das gewünschte Waffensystem mit einem weiteren Blick. Abgefeuert wird die Waffe entweder durch herkömmliche Verfahren oder durch spracherkennende Systeme. Ein solches System, der "Infantryman 2000" wurde 1984 von der britischen Computerfirma Scicon Ltd. vorgestellt und gilt mittlerweile als Paradebeispiel dieser Entwicklung [5]. In diesem System sollten Restlicht- und Infrarotsysteme sowie Lasermessung mit einem hoch entwickelten "helmet-mounted display"-System integriert werden.

Ein visuelles bionisches System mit Spracherkennung zur Befehlseingabe, das völlig ohne einen Helm als Hilfsmittel auskommt, ist das System OASIS, das von der NASA in Auftrag gegebene Ocular Attention-Sensing Interface System. OASIS ist die Entwicklung einer universellen Schnittstelle zwischen Mensch und jeder Art von ferngesteuertem Vehikel und Waffensystem. Die Augenbewegungen eines Operators werden gemessen, um bis zu sechs Vehikel zugleich zu steuern [6].

über das Fernsteuern von Vehikeln hinaus geht das System GATERS (Ground Air Telerobotic Systems). Nach einem ferngesteuerten Flugkörper zur Videoüberwachung wird dort ein ferngesteuertes Landfahrzeug entwickelt, das seinem Operator durch Stereobild- und -tonübertragung den Eindruck vermittelt, am Ort des Fahrzeugs zu sein. Der Operator steckt in einem Exoskelett mit Helm, mit dem die Sensoren des Fahrzeugs gesteuert werden. Für den Bediener wird dies zu einer außerkörperlichen Sinneserfahrung [7].

Auch die Simulation des Tastsinns soll bei GATERS erforscht werden. Bei der Manipulation mit Robotergreifarmen sollen die auf den Roboterarm einwirkenden Kraftverhältnisse an den Bediener rückübermittelt werden.

Den Geruchssinn des Menschen zu verbessern, ist technisch bisher ungelöst geblieben. Um jedoch den im AirLand-Battle postulierten ABC-Bedingungen gewachsen zu sein, werden Detektoren entwickelt und eingesetzt, die Kampfgase, aber auch biologische Wirkstoffe entdecken und akustisch oder optisch anzeigen können.

Kognitive Optimierung

Die Optimierung der kognitiven Fähigkeiten ist bereits in die Entwicklung der meisten der oben genannten Systeme eingegangen. Ein Beispiel dafür ist die symbolorientierte Darstellung von Daten in "helmet-mounted displays". Wissensbasierte Systeme zur Unterstützung und Kontrolle von Bedienern, die auch auf kognitive Modellierungen von menschlichem Verhalten beruhen, werden bisher vor allem in der Luftfahrt angewandt. Der Pilot's Associate, der automatische Kopilot, ist das zum Prototypen gereifte Ergebnis langjähriger Forschungsarbeiten der DARPA (Defense Advanced Research Projects Agency) im Rahmen der Strategic Computing Initiative. "Sight bionics"-Systeme sollen mit Spracherkennungssystemen gekoppelt werden, um dem Piloten zum rechten Zeitpunkt die optimale Unterstützung durch seine Bordcomputer zu geben. Expertensysteme überwachen die Pilotenleistung und bieten Hilfen an oder übernehmen die Flugzeugsteuerung:

"Während die von diesem Programm genutzten Technologien sehr breite militärische Anwendungen haben, konzentriert sich das Pilot's Associate-Programm ausschließlich auf die Unterstützung von Piloten von einsitzigen Kampfflugzeugen in der genauen Ausführung der komplexen Serien von Entscheidungen, Aktionen und Manövern, die in der Luftkampfumgebung gefordert werden, ein Grad der Leistung, der bei weitem ihre unassistierte Arbeitskapazität überschreitet. Der Pilot's Associate geht durch das Einbetten hochentwickelter Funktionen, die zum best-passenden Zeitpunkt während einer Mission automatisierte Pilotenhilfen auswählen, über konventionelle Automationsansätze hinaus. Dieses Programm hilft die Ausführung der für die Zukunft erwarteten in ihrer Komplexität ansteigenden Aufgaben von Piloten dadurch zu routinisieren, daß hohe Grade von Pilotenleistung und Zuversicht durch die Verhinderung kognitiver Sättigung erhalten werden sollen" [8].


Für den Soldaten auf dem Schlachtfeld wird dagegen eine Verstärkung und direkte Kontrolle seiner Gehirntätigkeit gewünscht:

"Bioengineering mag das Gehirn des Soldaten durch den Einsatz von organischen oder anderen Chemikalien oder genetischen Veränderungen modifizieren, um das Gedächtnis, die Lernfähigkeit oder Wahrnehmung zu schärfen. Alternativ können Biochips in das Gehirn implantiert und mit ihm durch Nervenzellen verbunden werden, die in den Chip wachsen" [9].


Ja zu Drogen
Drogen gehören von alters her ebenso zum Krieg wie Waffen. So ist zum Beispiel von den Inkas der Genuß von Cocablättern, von den Germanen der Metrausch und von den Flugzeugpiloten des Zweiten Weltkrieges die Einnahme von Amphetaminen bekannt. Seit dem Zweiten Weltkrieg wird wissenschaftlich an Drogen für Soldaten geforscht. Zeitweise, so ergab ein Untersuchungsbericht des US-Kongreß 1975 unter Vorsitz von Edward Kennedy, wurden in 20 verschiedenen Militärprojekten der Einsatz von Drogen zur Kontrolle von Streß bei Soldaten untersucht.

Die erforschten Drogen sollten eingesetzt werden gegen Müdigkeit, Angst und verschiedene Formen von Streß und für Entspannung, Furchtlosigkeit, Aggressivität, Gehorsam und bessere Problemlösungsfähigkeiten. Für das Militär sind die Forschungen an Drogen notwendig, weil psychisch gesunde Menschen für die Unmenschlichkeit des Krieges ungeeignet sind. Psychologische Untersuchungen zeigten, daß nur 2% der Soldaten schwere Kämpfe über Monate durchhalten können:

"Bei weitem die Mehrzahl dieser 2% erwiesen sich in Tests zum psychologischen Profil als reine Psychopathen ohne Gewissen und ohne emotionale Beteiligung am Töten und Sterben um sie herum. Sie können kalt handeln, mit Berechnung und Aggression, aber ohne Blutrünstigkeit. Mehr von diesen Soldaten zu produzieren, scheint das Ziel vieler derzeit laufender Ausbildungsprogramme und wichtiger militärischer Drogenforschung zu sein" [10].


Diese Art psychopathischer Killer zu produzieren, reicht für den modernen Krieg nach dem AirLand-Battle-Konzept nicht mehr aus. Die hochtechnisierte Ausrüstung verlangt komplexeres Problemlösungsverhalten, die Kriegsführung ist intensiver, schneller und findet rund um die Uhr statt, der ABC-Einsatz ist in die Kriegsführung integriert. Die Wirkung der Drogen muß erweitert und stark verfeinert werden.

Geforscht wird deshalb an allem, was die Zeit herabsetzt, die ein Mensch für sich benötigt. Drogen sollen Haarwuchs und Körperfunktionen verlangsamen und die Zähne für sechs Monate sauber halten. Anti-Insektenmittel sollen universellen Schutz bieten, Breitband-Medikamente gegen Viren, Bakterien und Geschlechtskrankheiten sollen Krankheiten verhindern. Verwundete sollen mit künstlichen Knochen, künstlichem Blut und aufsprühbarer Haut, Schwerverletzte mit sogenannten WHIMPER- (Wound Healing Injection Mandating Partial Early Recovery: Wundheilende Injektion für partielle frühzeitige Genesung) Injektionen schnell wieder kampfbereit gemacht werden
[11].

Gegen biologische und chemische Waffen werden Gegengifte kombiniert mit Angsthemmern entwickelt. Beim Einsatz atomarer Waffen gibt es keine Heilung, doch soll wenigstens die Kampffähigkeit der Truppe so lange wie möglich erhalten bleiben. Bekannt wurde in der Bundesrepublik ein medizinisches Forschungsprojekt zur Entwicklung eines Medikamentes gegen Erbrechen nach starker Strahlenbelastung [12].

Drogen alleine gewährleisten jedoch weder die optimale Dosierung zum richtigen Zeitpunkt, noch die direkte Kontrolle jedes Soldaten durch die militärischen Befehlshaber. Erst die Kombination von Computer-Implantaten im Gehirn des Soldaten mit den geeigneten Drogen gibt dem Militär die Möglichkeit, einen alten Traum zu verwirklichen: die direkte Kontrolle, das Fernsteuern jedes einzelnen Soldaten.


Computer im Hirn

Biochips sind schon lange keine Zukunftsmusik mehr. Bereits Anfang der 70er Jahre gab es Forschungsarbeiten im Stanford Research Institute, mit denen das US-Militär erfahren wollte, ob es möglich ist, Gedanken zu lesen und Nachrichten durch Computer in das Gehirn zu übermitteln. Diese Arbeiten werden heute an der John Hopkins University fortgeführt [13]. Die Verbindung von Neuronen und Computerchips wird nicht nur in den USA, sondern auch in der Bundesrepublik erforscht. An der Universität Ulm werden einzelne Neuronen von Blutegeln auf einen Chip gebracht und dort gemessen und stimuliert [14]. Mit großem Aufwand werden die menschlichen Gehirnfunktionen und die neuronalen Schaltvorgänge im "Human Frontier Science Program" erforscht, das die Teilnehmerländer des Weltwirtschaftsgipfels ins Leben gerufen haben und an dem sich die EG beteiligt [15]. Das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) hat sich zum Ziel gesetzt, "Erkenntnisse der Hirnforschung kontinuierlich in die Grundlagenforschung zur Informatik" einzubringen [16].

Die konkreten Ziele, die das Militär mit Biochips verfolgt, sind vielfältig. Sie sollen ermöglichen, die biologischen Funktionen der Soldaten besser zu kontrollieren. Nicht nur sollen Soldaten mit Biochips "schlafen, wenn befohlen" [17], auch ihre Streßsituation soll mit Hilfe von Biochips gemessen und mit Drogen gedämpft werden. Biochips sollen die Reaktionszeit des Soldaten verkürzen, indem das Auslösen von Waffen damit gekoppelt wird.

Wenn diese Pläne und Projekte nach Science Fiction klingen, mag das daran liegen, daß einige Ideen dazu von Science Fiction-Autoren stammen. Mitte der 80er Jahre versammelte die US Air Force 175 zivile und militärische Experten zum "Project Forecast II" in 18 verschiedenen Arbeitsgruppen zu einem Brainstorming über zukünftige Waffensysteme. Zu einer Konferenz auf der Wright Patterson Air Force Base unter dem Titel "Futurist II" wurden auch acht Science Fiction-Autoren und zehn Zukunftsforscher versammelt [18].

Zu welchen Ideen und Vorschlägen die Beteiligten auf diesen Konferenzen gekommen sind, läßt sich am Beispiel des Science Fiction-Autors William Gibson nachlesen, dessen Cyberpunk-Trilogie die Forschungsrichtung der virtuellen Realität und der Mensch-Maschine-Symbiose stark und nachhaltig beeinflußt hat [19]. Mit den verschiedenen Hirnzentren neuronal verbundene Biochips erlauben die Kopplung des Gehirns mit jedem beliebigen Computer durch eine Steckverbindung hinter dem Ohr. Menschliche Erfahrungen und Fähigkeiten können von Computern über diese Schnittstelle direkt ins Gehirn eingespielt werden. Die Vorgänge im Gehirn werden für den Computer lesbar. Das menschliche Auge ist ersetzt durch infrarot-fähige miniaturisierte Videokameras.

Für das Militär naheliegende Einsatzmöglichkeiten lassen sich leicht denken. Das Bedienen von Waffensystemen, das Fliegen von Flugzeugen, aber auch Fähigkeiten in einer fremden Sprache ließen sich durch beliebig oft kopierbare Computerprogramme über den Biochip in das Gehirn jedes Soldaten einspielen. Ebenso werden alle sensuellen Eindrücke, alle Gedankenvorgänge jedes Soldaten zu Daten, die beliebig nutzbar sind.

Die Verbindung des menschlichen Gehirns mit dem Computer macht den Menschen zu einer peripheren Einheit, zu einem Teil des Computersystems. Ob computerunterstützt, computerkontrolliert oder ferngesteuert - der Mensch auf dem modernen Schlachtfeld wird zur computerisierten Kampfmaschine im globalen Kommando- und Kontrollnetz des Oberkommandos:


"Stellen sie sich ihr Immunsystem vor, programmiert gegen Geschlechtskrankheiten, Viren, Bakterien und verschiedene Toxine; ihren Körper um bionische Teile und Augenzusätze erweitert; ihr Gehirn verkabelt mit einem mechanischen Gefährten; ihr Verstand unter Drogen oder psychoprogrammiert gegen Streß, Angst, Höhe, Tiefe, Hitze, Kälte und Ermüdung; sie selbst ständig verbunden und überwacht von den Computersystemen, die sie beobachten und nutzen, in einer sicheren ABC-Mikro-Umwelt sich bewegend, geschützt durch autonome und abhängige Waffensysteme und große Ressourcen von Zerstörungsmacht und Informationsmanipulation nutzend. Sie sind ein Cyborg Soldat" [20].

Cyborgs, kybernetische Organismen, die sich für alle Bedürfnisse umprogrammieren und optimal in jedes Waffensystem einpassen lassen, sind der Wunschtraum jedes Militärs. Was Drill, Psychotraining und Drogen nicht erreicht haben, rückt der Biochip in greifbare Nähe: der Hochleistungssoldat mit den richtigen Gedanken und Fähigkeiten. Das Militär hat erkannt, daß es der "künstlichen Intelligenz" (KI) auch in weiterer Zukunft nicht gelingen wird, Systeme zu entwickeln, die auch nur annähernd an die menschlichen Fähigkeiten heranreichen. Deshalb ist der Mensch im Krieg unverzichtbar, sofern es gelingt, seine menschlichen, für das Militär unbrauchbaren "Schwächen" zu modifizieren und zuverlässig zu kontrollieren. Todesängste zu beseitigen schafft in den extremsten Kampfsituationen Raum für komplexe Gedankengänge, auf die das Militär weder verzichten will noch kann.


Das Militär hat immer bessere Mittel und Methoden ersonnen, den Menschen als Rädchen in das Getriebe der Kriegsmaschinerie zu pressen. Während bisher nur das äußere Verhalten rigiden Regeln unterworfen werden konnte, steht nun der Mensch mit all seinem Denken, Fühlen und Handeln dem militärischen Befehl offen. Was die Forschung für das Militär erprobt, läßt sich bei Bedarf natürlich auch auf ganze Völker übertragen. Der Biochip im Gehirn schafft den idealen Staatsbürger.

Der Cyborg, dessen Gehirn militärischer Kontrolle unterworfen ist, ist das entmenschlichte Resultat militärischer Wahnsinnslogik. Der seelenlose Maschinen-Soldat mit programmierbaren Erinnerungen, Fähigkeiten und Gefühlen stirbt nicht erst auf dem Schlachtfeld, sondern lange davor.



[1] US Department of the Army: AirLand-Battle Doktrin, Fort Monroe, Virginia, 1981, auf deutsch in: Militärpolitik Dokumentation, Heft 34/35, 1983, S. 13-40

[2] Paul Dickson: Think Tanks. New York, 1971, S. 149; übersetzung - auch im folgenden - d. A.

[3] John A. Adam: Toward smaller, more deployable forces, as lethal as can be; in: IEEE-Spectrum, November 1990, S. 30-33, S. 32

[4] Stephen W. Miller: New Trends in Armoured Fighting Vehicles; in: Military Technology, No. 7, 1991, S. 10-17, S. 12

[5] Steven M. Shaker; Robert Finkelstein: The Bionic Soldier; in: National Defense, April 1987, S. 27-32, S. 31f

[6] ebd., S. 30

[7] ebd.

[8] DARPA: Strategic Computing. Fourth Annual Report, Washington, November 1988, S. 11f

[9] Steven M. Shaker; Robert Finkelstein, a.a.O., S. 32

[10] Chris Hables Gray: The Cyborg Soldier. The US military and the post-modern warrior; in: Les Levidow; Kevin Robins: Cyborg Worlds. The military information society, London, 1989, S. 43-71, S. 58

[11] ebd., S. 48

[12] siehe Ulrike Wendeling-Schröder: Das "Prinzip Verantwortung" im Arbeitsleben, WSI Arbeitsmaterialien Nr. 21;, Düsseldorf, 1989, S. 22-46

[13] Chris Hables Gray, a.a.O., S. 53

[14] Jeanne Rubner: Nervenzellen im Chip; in: Süddeutsche Zeitung, 14.2.1991

[15] Die Gehirnfunktionen erforschen; in: Woche im Bundestag, 4/1991, S. 27

[16] Ergebnisse der Hirnforschung fließen in die Informatik; in: BMFT-Journal, Nr. 2, 1990, S. 11

[17] John A. Adam, a.a.O., S. 32

[18] Earl Cooper; Steven M. Shaker: The military forecasters, in: The Futurist; May/June, 1988, S. 37-43

[19] William Gibson: Neuromancer, München, 1987; ders.: Biochips, München, 1988; ders.: Mona Lisa Overdrive, München, 1989

[20] Chris Hables Gray, a.a.O., S. 63


ISBN 3-924684-30-8

Copyright: Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) e.V., Bonn, 1991.

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